Film:
The Wind

Film-Kritik von Michael Drewniok

Im Mahlstrom des Wahn- und Unsinns

Isaac und Elizabeth Macklin sind Pioniere: Nachdem New Mexico Teil der USA geworden ist, gehören sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu jenen Siedlern, die dort ihr Glück versuchen und dabei die ‚new frontier‘ - jene Grenze, hinter der noch die Wildnis lauert - weiter nach Westen vorschieben.

Das Leben ist hart, denn man lebt einsam und kann auf Hilfe von außen höchstens hoffen. Es gibt nur weit verstreute Farmen, deren Bewohner einander so gut unterstützen wie möglich. Die Macklins werden diesbezüglich gefordert, als ‚nebenan‘ (= eine Meile entfernt) das junge Ehepaar Gideon und Emma Harper ein leerstehendes Farmhaus bezieht. Sie kommen aus Iowa und sind denkbar untauglich für das Leben an der Grenze. Gideon ist mit der Farmarbeit überfordert, und Emma fühlt sich erst allein und dann verfolgt von einer Kreatur, die angeblich in der Dunkelheit auf sie wartet.

Elizabeth ist nur scheinbar aus härterem Holz geschnitzt und psychisch labil, was sich nach der Totgeburt ihres ersten Kindes schleichend verstärkt, Isaac durch die Arbeit abgelenkt und oft Tage außer Haus. Dass Emma Trost in der Gesellschaft des nicht abgeneigten Isaac sucht, trägt nicht zu Elizabeths Wohlbefinden bei. Mehr und mehr beginnt auch sie an das Treiben einer dämonischen Präsenz zu glauben, die den Harpers gefolgt ist. Es kommt zu seltsamen Zwischenfällen, und die Kreatur versteckt sich irgendwann nicht mehr, sondern attackiert und verletzt Elizabeth.

Als die (inzwischen schwangere) Emma stirbt, gibt Gideon seine Farm auf. Isaac begleitet ihn in die nächste (= ferne) Stadt. Auf dem Höhepunkt ihrer Angst bleibt Elizabeth allein zurück. Schon sehr bald gibt es Zeichen für eine übernatürliche Belagerung, wobei eine zugige Holzhütte nicht lange Sicherheit bieten kann …

Guter Ansatz trifft auf überzogene Erwartungen

In einer ‚besseren‘, d. h. von zweckentfremdet soziokulturellen Auseinandersetzungen freien Welt - also niemals - wäre „The Wind“ als Film so wahrgenommen worden, wie er es verdient: als Spielfilmdebüt einer Regisseurin, die eine Geschichte erzählt, welche man Interessant finden kann, aber nicht muss. Da die Realisierung kein großes Budget verschlang, war das bescheidene Abschneiden an den Kassen kein Beinbruch. Emma Tammi hat sich (anders als Teresa Sutherland; dazu weiter unter mehr) für zukünftige Filmprojekte qualifiziert, und Caitlin Gerard ist als Schauspielerin eine echte Entdeckung.

Drehbuchautorin Sutherland war auf eine interessante historische Tatsache gestoßen, die nur bedingt zur Kenntnis genommen wird. In der US-Geschichte werden jene, die einst die „new frontier“ immer weiter vorantrieben, als entschlossene, genügsame, unbeugsame Pioniere gefeiert, an denen sich die schlaff gewordenen Nachfahren im 21. Jahrhundert gefälligst ein Beispiel nehmen sollten! (Umweltzerstörung, Indianerkriege und Bisonschlächterei werden aus dieser Wertung herausgenommen.) Tatsächlich sah die Realität wie üblich anders und düster aus. Die Zahl der Siedler, die auf der Strecke blieben, war erschreckend hoch, und dafür sorgten nicht nur Hunger, Krankheit oder verdrängungsunwillige Indianer.

Ausgeblendet wird jener Stress, den eine Randexistenz in der Einsamkeit erzeugt. Kameramann Lyn Moncrief weiß ihn zu vermitteln. Das Land erdrückt die wenigen, isolierten, winzig wirkenden Zeichen einer menschlichen Besiedlung. Es ist stets präsent, lässt sich nicht ausschließen: Die Häuser sind eher Hütten, durch deren Wandritzen der Wind bläst und heult. Nachts ist es dunkel, eine Kerze oder Laterne kann dagegen nichts ausrichten. In diesem Umfeld war die Frau doppelt gefordert: Sie blieb zurück, während der Mann irgendwo nach dem Vieh sah, sorgte für Haus und Garten - und für den Nachwuchs, der ohne die beruhigende Nähe eines Arztes oder einer Hebamme zur Welt gebracht und aufgezogen wurde. Man musste mit dem Lebenspartner und mit sich auskommen und an einem Strang ziehen. Sonst kam es rasch zur Katastrophe.

Vom Land gewogen & für zu leicht befunden

Eine solche Geschichte wird uns hier erzählt. Sie ist simpel - womöglich zu simpel für eine Kinokultur, die stark auf Effekte setzt. Die gibt es hier zwar auch, aber sie fördern kontraproduktiv die Negativkritik. „The Wind“ arbeitet mit den Mitteln des Horrorfilms, was angesichts des thematisierten Wahns durchaus seine Berechtigung hat. Allerdings wollen/können sich Tamm & Sutherland bis zuletzt nicht entscheiden, wie sie ihre Geschichte auflösen wollen: Spukt es tatsächlich, oder beruht das dämonische Treiben auf krankhafte Einbildung?

Quasi in letzter Sekunde legt der Film sich fest, doch das sorgt für Verwirrung und Ärger, da sich zuvor als ‚wichtig‘ präsentierte Vorkommnisse einfach nicht plausibel einordnen lassen. Darüber hinwegzugehen = arthouse-künstlerisch dem Zuschauer die Entscheidung zu überlassen funktioniert nicht, da zuvor Genre-Stilmittel allzu häufig bemüht wurden. Dass es Schwierigkeiten gab, merkte Tammi beim Schnitt: Die Story entwickelte keine Spannung. Also hob sie die Chronologie auf. Die Handlung springt jetzt lebhaft zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Darauf zu achten hilft den Zuschauerschlaf fernzuhalten, ist aber eine Schein-Lösung, denn nie ausgeräumte Ungereimtheiten fallen weiterhin ebenso auf wie die Eindimensionalität einer Geschichte, die kaum über anderthalb Stunden trägt.

Hier könnte diese Besprechung enden bzw. noch die großartige Leistung von Kameramann Moncrief und die eindrucksvolle schauspielerische Präsenz von Caitlin Gerard hervorheben, die gleichermaßen stark wie verletzlich ganz ruhig (= ohne Gesichtsverrenkungen) den Verstand verliert (sowie die minderwertigen deutschen Synchronstimmen beklagen): „The Wind“ ist ein kleiner, handwerklich und darstellerisch gelungener Film, der an seinem Drehbuch krankt, was Regie und Schnitt nicht ausgleichen können.

Im Dienst der guten Sache?

„The Wind“ ist aber auch ein Film, der von Frauen geschrieben, inszeniert, und geschnitten wurde. (Lyn Moncrieff ist ungeachtet des Vornamens ein Mann.) Das ist im 21. Jahrhundert weiterhin keine Selbstverständlich, für eine Bewertung jedoch von bedingter Relevanz - eigentlich, denn wir befinden uns aktuell in der Ära eines „Gerechtigkeitsfeminismus“ („equity feminism“ - ein US-Terminus), der ungeachtet seiner Daseinsberechtigung das Pendel nicht nur aus-, sondern manchmal auch zuschlagen lässt.

Natürlich mag es sein, dass ein Film wie „The Wind“ einen Subtext aufweist, den primär oder nur Frauen erkennen. Studiert man allerdings in diese Richtung zielende Kritiken, ersetzt nicht selten in seiner Zielrichtung bemühter und dadurch erkennbarer Schwurbel das klare Argument. „The Wind“ soll demnach (auch) als feministisches Manifest verstanden werden - und sei es nur, weil sich die Regisseurin viel Zeit nimmt, um ihre Figuren vorzustellen, keine Köpfe rollen oder Elizabeth nur deshalb nackt in ihrer Zinkwanne hockt, weil sie sich wäscht, und nicht, weil sie begafft werden soll.

Doch die Figuren müssen uns nicht ausgiebig vorgestellt werden, weil wir ungeachtet der durcheinandergeworfenen Handlungsstränge sehr rasch begreifen, wen wir vor uns haben: So tiefsinnig sind die Protagonisten nicht! (Es hilft außerdem, wenn uns gezeigt wird, wie Elizabeth Pillen aus einem riesigen Glas schluckt oder Chloroform ‚schnüffelt‘.) Der Verzicht auf plakative Gewalt allein definiert kein gutes Drehbuch. Eine langsame bzw. ‚ruhige‘ Handlungsführung darf nicht ‚künstlerisch‘ ins Leere laufen. Zudem ist die filmische Gestaltung des Schauplatzes eher frei als authentisch: Solche großzügigen, mehrräumigen, des Nachts sogar außen gut beleuchteten Siedlerhütten gab es in New Mexico sicher nicht! Freilich würde sich das Drama in einer düsteren Grassoden-Höhle, in der Mensch und Tier Seite an Seite schlafen, wohl weniger eindrucksvoll entwickeln …

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Fotos: © WVG Medien GmbH

The Wind

  • Originaltitel: The Wind (USA 2018)
  • Regie: Emma Tammi
  • Drehbuch: Teresa Sutherland
  • Kamera: Lyn Moncrief
  • Schnitt: Alexandra Amick
  • Musik: Ben Lovett
  • Darsteller: Caitlin Gerard (Elizabeth Macklin), Ashley Zukerman (Isaac Macklin), Julia Goldani Telles (Emma Harper), Dylan McTee (Gideon Harper), Miles Anderson (Reverend), Martin Patterson (Eli)
  • Label/Vertrieb: I-On New Media (http://www.ionnewmedia.de)
  • Erscheinungsdatum: 28.08.2020
  • EAN: 4260034636743 (DVD)/4260034636750 (Blu-ray)
  • Bildformat: 16 : 9 (2,35 : 1, anamorph)
  • Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch) [DVD]/DTS-HD High Resolution Audio 5.1 (Deutsch, Englisch) [Blu-ray]
  • Untertitel: Deutsch
  • Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2) [DVD]/Blu-ray Case (Amaray)
  • Länge: 86 min. (Blu-ray: 88 min.)
  • FSK: 16

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