Pakt der Wölfe

Film-Besprechung von Marcel Scharrenbroich

Die Bestie

Zwischen 1764 und 1767 hielten die Menschen im Gévaudan, gelegen in Südfrankreich, den Atem an. Etwas Unheimliches streifte durch die karge Landschaft, Moore und die angrenzenden Wälder. Diejenigen, die der sogenannten „Bestie“ begegneten, konnten nur in den seltensten Fällen von ihr berichten. Oft griff sie heimtückisch an, lauerte zuvor in einem Versteck. Andere Male stürzte sie sich in purer Raserei auf ihre Opfer. Überlebende berichteten von einem massiv-unförmigen Ungetüm mit enormer Kraft, welches selbst ausgewachsene Männer verschleppen konnte, und über mehrere Meter hinwegspringen konnte. Die geschätzte Opferzahl beläuft sich auf rund einhundert Menschen. Dabei machte die Bestie keinerlei Unterschiede und griff sowohl Männer, Frauen als auch Kinder an. Eine ebenso grauenhafte wie wahre Geschichte, die anhand zahlreicher Korrespondenzen, Zeichnungen, Polizeiberichten und Vermerken über königliche Treibjagden überliefert ist. Während Experten heutzutage davon ausgehen, dass es sich bei den damaligen Angriffen um mehrere Raubtiere gehandelt haben muss, hält sich die Legende um die eine „Bestie von Gévaudan“ aber noch immer…

Die Gefährten

1767, nachdem die Bestie schon zahlreiche Opfer gerissen hat und das Gévaudan regelrecht terrorisiert, wird Grégoire de Fronsac (Samuel Le Bihan) in die ländliche Gegend entsandt. Der Chevalier ist Naturwissenschaftler und steht in den Diensten König Ludwigs XV., der sehr daran interessiert ist, die rätselhaften Morde in der Gegend aufgeklärt zu wissen. Der König verlangt den Kopf der Bestie… und hält den Chevalier für seinen geeignetsten Jäger. Fronsac wird stets begleitet von Mani (Marc Dacascos), einem Irokesen, den er bei seinem Aufenthalt in Amerika kennenlernte. Sein schweigsamer Blutsbruder folgt ihm wie ein Schatten, so auch ins gebeutelte Gévaudan, wo ihre Ankunft nicht nur positiv aufgenommen wird.

Für die Dauer ihres Aufenthalts kommen Grégoire de Fronsac und Mani beim Marquis d’Apcher (Hans Meyer) unter. In dessen Enkel Thomas (Jérémie Renier) finden sie einen ebenso neugierigen wie wissbegierigen Verbündeten mit Ortskenntnis. In der höher gestellten Gesellschaft, bestehend aus Adel und Kirche, wird das Auftauchen Fronsacs zunächst noch kritisch beäugt. Besonders der Adelsspross Jean-François de Morangias (Vincent Cassel) steht dem smarten Wissenschaftler auf charmante Art feindselig gegenüber. Da macht es die Tatsache auch nicht besser, dass der Chevalier ein Auge auf dessen bildschöne Schwester Marianne (Émilie Dequenne) geworfen hat. So hat Grégoire de Fronsac nicht nur mit der Bestie, die allgemein noch immer für einen einfachen Wolf gehalten wird, zu kämpfen, sondern auch noch mit intriganten Schnöseln… außerdem zieht sich der Kampf um das Herz der Dame seiner Wahl über gleich mehrere Runden.

Die Jagd

Der König bläst zur größten Treibjagd, die Frankreich je gesehen hat, und setzt zusätzlich ein stattliches Kopfgeld aus. Derjenige, der die Bestie erlegt, soll fürstlich entlohnt werden. Unzählige Wölfe werden geschossen, in der Hoffnung, dass die Bestie unter ihnen ist. Doch die Hoffnung zerschlägt sich recht schnell. Das Morden geht weiter und die Opferzahl steigt drastisch an. Fronsac entdeckt in einer Leiche einen metallischen Zahn, womit das Mysterium weiterwächst. Da die Treibjagd ein grandioser Fehlschlag war, beordert der König den abgesandten Befehlshaber Capitaine Duhamel (Eric Prat) zurück. Um Ergebnisse vorzuweisen, wird der Chevalier regelrecht gezwungen, einen toten Wolf derart zu präparieren, dass er dem König als gesuchte Bestie präsentiert werden kann. Damit wäre seine Arbeit eigentlich beendet. Eigentlich…

Obwohl Fronsac nach Afrika geschickt werden soll und man den Fall Gévaudan möglichst weit unter den Teppich kehren möchte, lässt er nicht locker. Zusammen mit Mani und dem jungen Marquis Thomas plant Grégoire de Fronsac eine ganz eigene Jagd. Nachdem eine traumatisierte Überlebende davon berichtet, eine männliche Gestalt in Begleitung der Bestie gesehen zu haben, beginnt ein brutaler Kampf auf Leben und Tod… Auge in Auge mit der Bestie von Gévaudan.

Opulentes Genre-Kino

Schon seit ich die Kinofassung anno 2001 zum ersten Mal sah, hat der preisgekrönte „Pakt der Wölfe“ einen hohen Rang in der Liste meiner Lieblingsfilme inne. Regisseur Christophe Gans ist maßgeblich dafür verantwortlich, obwohl dies erst sein zweiter Spielfilm war. Insgesamt liest sich die Filmografie des Franzosen sehr überschaubar, drehte er nach „Pakt der Wölfe“ doch lediglich „Silent Hill“ (die bislang vielleicht beste Videospiel-Adaption) und 2014 eine deutsch-französische Version des Märchens „Die Schöne und das Biest“ mit Léa Seydoux und Vincent Cassel in den Hauptrollen. Cassel, den man unter anderem aus „Hass - La Haine“, „Dobermann“, „Die purpurnen Flüsse“ oder dem umstrittenen „Irreversibel“ kennen könnte, zählt als Fiesling Jean-François de Morangias auch gleich zu den darstellerischen Highlights in „Pakt der Wölfe“. Ein Glücksgriff für Christophe Gans. Ebenso wie Marc Dacascos als kampferprobter Mani, der dem Regisseur schon 1995 in dessen Debüt, der Comic-Verfilmung „Crying Freeman“, als Hauptdarsteller zur Verfügung stand. Dagegen bleibt der eigentliche Hauptcharakter Grégoire de Fronsac erschreckend blass, obwohl Darsteller Samuel Le Bihan („Drei Farben: Rot“, „Frontier(s)“) alles gibt, um aus der doch ziemlich eindimensionalen Figur etwas Tiefe herauszuholen. Wo Cassel so herrlich fies aufspielt, dass man ihm am liebsten mit der Faust durchs dreckige Grinsen schlagen möchte, ist Dacascos („Double Dragon“, „The Crow: Die Serie“, „John Wick: Kapitel 3“) der Action-Garant des Films. Ob beim akrobatischen Stockkampf oder Mann-gegen-Mann (bzw. Frau), wo der Hawaiianer hindrescht, wächst so schnell kein Gras mehr. Auch hier ist es wieder der Inszenierung von Gans zu verdanken, dass die Actioneinlagen so imposant ausgefallen sind. Verlängert durch stylische Zeitlupen und mit wuchtigen Impact-Sounds unterlegt, die man sonst nur in überdrehten 80er-Jahre-Actionfilmen zu hören bekommt.

Die Ausstattung von „Pakt der Wölfe“ ist ebenfalls grandios. Weitläufige Sets sorgen für Abwechslung und tragen zur dichten Atmosphäre bei. Egal, ob unter freiem Himmel oder innerhalb der ausladenden Räumlichkeiten der feinen Gesellschaft. Kostüm (Dominique Borg gewann dafür einen César), Maske und Set-Design sind erste Klasse und der dänische Kameramann Dan Laustsen („Freeze - Alptraum Nachtwache“, „Mimic“, „Crimson Peak“, „Shape of Water“ sowie Kapitel 2 bis 4 von „John Wick“) nimmt diese Vorlagen dankend an, um sie in eindrucksvolle Bilder zu fassen. Die Bedrohlichkeit aus allen Richtungen ist stets spürbar. Interessanterweise nicht nur durch die Bestie, die erst spät im Film in voller Gänze zu sehen ist.

Das vollständige Erlebnis

Schon in früheren Veröffentlichungen war der Director’s Cut des Films enthalten. Allerdings nie in durchgängig deutscher Synchronisation. Das hat sich mit der vorliegenden Fassung endlich geändert. Dazu holte man, bis auf wenige Ausnahmen, nochmals die Sprecherinnen und Sprecher ihrer damaligen Charaktere vors Mikro, um ein möglichst durchgängiges Seh- bzw. Hörvergnügen zu garantieren. Das ist geglückt, denn die neuen Szenen fügen sich nahtlos ein, was den 151-minütigen Director’s Cut zur ultimativen Fassung von „Pakt der Wölfe“ macht.

Für das komplett erneuerte Bild hat man sich ordentlich ins Zeug gelegt! Restauriert wurde hier nichts, sondern man ging das Ganze noch mal von Grund auf an. Anhand der original Kameranegative wurde der gesamte Film Bild für Bild neu zusammengesetzt. Unter der Leitung von Sébastien Prangère, der bereits ursprünglich für den Schnitt verantwortlich war, konnte „Pakt der Wölfe“ aus hunderten 35-mm-Rollen und mit sehr viel Aufwand rekonstruiert werden, was Regisseur Christophe Gans nicht nur die Möglichkeit gab, dem Endprodukt seinen Segen zu geben, sondern auch Veränderungen vorzunehmen, die beim Dreh des Films technisch einfach noch nicht möglich waren. Ein weiterer Grund, warum ich diese Fassung zuvor mit dem Superlativ „ultimativ“ in den Himmel gehoben habe. Den betriebenen Aufwand merkt man als Zuschauer nämlich an allen Ecken und Enden, wenn auch bemängelt werden darf, dass der deutsche Ton (im direkten Vergleich mit der Original-Tonspur) in der Abmischung etwas unrund wirkt. Ein minimaler Abstrich, mit dem ich persönlich gut leben kann.

Für das enthaltende Bonusmaterial (mehr als fünf Stunden!) hat man in STUDIOCANALs ARTHAUS-Abteilung dann noch mal tief in den Archiven gewühlt. Neben den Extras, die man aus vorherigen Veröffentlichungen kennt (Audiokommentare von Christophe Gans und den Darstellern Vincent Cassel & Samuel Le Bihan, die Dokumentation „Das Innere der Bestie“, Interview mit Michel Louis (Autor des Buches „La Bête du Gévaudan“) über die Bestie von Gévaudan, Deleted Scenes, Hinter-den-Kulissen-Material sowie diverse Trailer und TV-Spots) findet sich auf der Bonus-Blu-ray noch das neue, spielfilmlange Interview von Filmhistoriker Jean-Baptiste Thoret mit Regisseur Christophe Gans. Ziemlich abenteuerlich, denn Thoret scheint überhaupt keinen Gesprächspartner zu benötigen, um die Zeit zu füllen. Schon die erste Frage des zauseligen Interviewers mit E-Dampfmann artet derart biblisch aus, dass Gans der Fluchtgedanke regelrecht ins Gesicht geschrieben steht. Mir wurde dieser „Monolog“ vorab schon von einem Freund empfohlen… und mit dem Vorwissen auf das, was mich da erwartet, konnte ich mich nach ungefähr zwei Minuten vor Lachen nicht mehr auf dem Sitz halten. Allein deswegen lohnt sich das Anschauen schon.

Zusammen mit UHD, Blu-ray und Bonus-Disc umfasst das schöne Set also drei Scheiben. Für Sammler bestimmt nicht uninteressant, sind diese in einem matten Steelbook (im Steckschuber) mit tiefengeprägter Titelschrift untergebracht. Exklusiv im Shop des Publishers PLAION PICTURES gab es außerdem eine mittlerweile vergriffene Collector’s Edition, der Artcards, ein Poster, ein 200-seitiges Storyboard-Booklet und eine Disc mit der unrestaurierten Kinofassung von „Pakt der Wölfe“ beilagen.

Fazit

„Pakt der Wölfe“ ist auch nach mehr als zwanzig Jahren noch eine feste Genre-Größe und erstaunlich gut gealtert. Ein Meilenstein des französischen Films, der einem visuellen Rausch gleicht, welcher mit seinen vielen Zutaten (Action, Fantasy, Mystery, Horror, Zeitgeschichte, Liebe) geradezu spielend jongliert. Für das optimale Filmerlebnis sollte man unbedingt zur 4K-Scheibe greifen, da diese der auch schon tollen Blu-ray nochmals in allen Belangen überlegen ist. ARTHAUS hat ganze Arbeit geleistet und es ist eine Freude, diesen fantastischen Film in nie dagewesener Qualität neu zu entdecken.

Wertung: 10

Bilder: © 2001 Davis Films - STUDIOCANAL. All rights reserved.

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Nicht zuletzt durch den Erfolg der Streamingdienste ist die Anzahl von Filmen und Serien rund um die Phantastik im TV - als Serie oder Film - enorm gestiegen. Und ebenso ist Bandbreite vielfältiger denn je. Habt ihr derzeit einen Lieblingsfilm oder eine Lieblingsserie? Oder gibt es sogar einen "All-Time-Favorit" - einen Film oder eine Serie, die ihr immer wieder schauen könnt?

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