Bird Box: Barcelona

Film-Besprechung von Michael Drewniok

Die Erde wird von meist unsichtbaren Wesen ungeklärter Herkunft heimgesucht. Wer sie sieht, wird in der Regel unmittelbar wahnsinnig und bringt sich um. Nur wenige Menschen überleben, verlieren aber ebenfalls den Verstand: Sie verwandeln sich in „Seher“, die ihren Mitmenschen notfalls gewaltsam die Augen ‚öffnen‘, um sie an der angeblichen Herrlichkeit der Kreaturen teilhaben zu lassen.

Auch über Barcelona, die katalonische Metropole an der nordöstlichen Mittelmeerküste Spaniens, kommen die Invasoren. Sebastián und seine elfjährige Tochter Anna versuchen in dem ausbrechenden Chaos zu überleben, doch „Seher“ unter der Führung des fanatischen Pastors Esteban finden sie und ‚befreien‘. Anna überlebt dies nicht, aber Sebastián wird ein „Seher“. Fortan überfällt auch er jene Mitbürger, die sich mit Augenbinden vor dem Anblick der Kreaturen schützen wollen. Dabei begleitetet ihn Anna als Geist, der ihn in seinem Tun bestärkt und anstachelt.

Irgendwann schließen sich Sebastián und ‚Anna‘ einer Gruppe an, die sich in die alte Festung Montjuïc hoch über der Stadt durchschlagen wollen. Dort, wohin man nur mit der Seilbahn gelangen kann, soll es ein Flüchtlingslager geben. Sebastián sieht zunächst die Chancen, die sich ihm, dem ‚Erlöser‘, auf dem langen, gefährlichen Weg zur Festung bieten. Allerdings hat er inzwischen an seiner Mission zu zweifeln begonnen. Zu viele Ungereimtheiten erschweren ihm den Glauben an „Engel“, denen er angeblich zur Hand geht.

Darüber hinaus werden seine neuen Gefährten aufgrund seines zunehmend erratischen Verhaltens misstrauisch, während ‚Anna‘ ihren Vater beschwört, an seinem Tun festzuhalten. Zu allem Überfluss geistern weiterhin Pater Esteban und seine Schergen durch die Straßen und nehmen die Verfolgung der Gruppe auf ...

Einige notwendige Vorbemerkungen

Erfolg kann ein Fluch sein. Dies gilt vor allem im Film, wobei dort die Zahl der potenziell Leidtragenden besonders hoch ist. Immer wieder geschieht es, dass eine faktisch auserzählte Geschichte ein großes (und zahlungswilliges) Publikum locken soll. Dann sind es nicht unbedingt die Autoren, die eine Fortsetzung wünschen, sondern die Produzenten, die es fordern. Da sie diejenigen mit der Geldbörse sind, setzen sie sich in der Regel durch. Die Logik einer solchen Fortsetzung ist dagegen (höchstens) zweitrangig.

Die Ergebnisse solcher geldsackbestimmten Dreharbeiten pflastern als Gräber den Weg des Unterhaltungsfilms. „Ghostbusters 2“, „Die Mumie 3“ oder „Indiana Jones 4“ (und 5) definieren quasi solche Wechselbälger, die freilich keineswegs erfolglos sein müssen, sondern durchaus einträglich sein können. Dann bricht besagter Fluch sich vollends Bahn, weil dies selbstverständlich weitere Fortsetzungen (oder Prequels oder Spin-offs) hervorbringt.

„Bird Box“ entstand 2018 für den Streaming-Sender „Netflix“. Für wenig Geld produziert, entpuppte sich dieser Film als einer jener „Schläfer“, die sämtliche Erlös-Prognosen dafür zuständiger ‚Fachleute‘ Lügen strafen: Drei Jahre fuhr „Bird Box“ erstaunliche Erträge ein und veranlasste zudem nicht wenige Zuschauer, sich bei „Netflix“ anzumelden. Deshalb war klar, dass auf dieses Zugpferd aufgesattelt wurde. Womöglich ist sogar die Quelle eines Franchises entstanden? Die „Bird-Box“-Story ist schließlich so allgemein (bzw. vage) gehalten, dass sie sich in jedem Teil der Welt wiederholen könnte.

Das Auge kommt auf seine Kosten

„Bird Box: Barcelona“ ist ungeachtet einiger Variationsbemühungen eine relativ originale Wiederaufnahme der Originalgeschichte. Das wird einem Film zum Verhängnis, der handwerklich in einer Liga spielt, in der man ihn aufgrund der wiederum moderaten Herstellungskosten (20 Mio. Dollar) nicht einordnen würde. Die Schauwerte sind enorm, wobei anders als im Vorgängerfilm der Fokus buchstäblich erweitert wurde: In Barcelona tobt das Chaos, und das wird in grandiosen Panoramen und Luftbildern ausgiebig unter Beweis gestellt. Wem dies genügt, wird auf seine bzw. ihre Kosten kommen.

Auch im Detail wird deutlich mehr Aufwand getrieben. Der Weg durch die verheerte Stadt bietet mehr als die übliche Im-Bunker-Bilder à la „Walking-Dead“. Viele Szenen spielen auf offener Straße oder freien Plätzen, die anschaulich die katastrophale Vorgeschichte widerspiegeln. (Angemerkt sei eine auffällige Ausnahme: Viele Monate nach der Apokalypse wirken die überall herumliegenden Leichen auffällig ‚frisch‘.) Natürlich ist dies nicht immer stimmig; dass beispielsweise die Wendeltreppe hinauf zur Seilbahnstation nach weniger als einem wartungsfreien Jahr bereits auseinanderfällt, ist allein einem typischen Spannungsmoment - unter den Füßen der kindlichen Hauptdarstellerin bricht eine der Stufen - geschuldet.

Die Brutalität einer postapokalyptischen Welt wird angemessen in Szene gesetzt. Ohne sich in Splattereffekten zu verlieren, geht es drastisch zur Sache, wenn sich Pechvögel nach dem Blick auf die unheimlichen ‚Gäste‘ umgehend und unter Einsatz vor Ort gefundener ‚Instrumente‘ (Glasscherben, auslaufendes Benzin und Feuerzeug sowie natürlich der gute, alte Sprung - plus Landung - aus großer Höhe) entleiben. Auch die Amokfahrt eines Busses inmitten einer riesigen Halle wirkt keinesfalls budgetbeschränkt.

Sind’s Engel oder Außerirdische?

Das Primärproblem wurde bereits angesprochen und soll hier noch einmal präzisiert werden: Die Idee hinter der Gesamtgeschichte kann aufgrund des unentschlossen eine ohnehin kraftlose Handlung vorantreibenden Drehbuchs weder jene Zuschauer fesseln, die „Bird Box“ von 2018 kennen, noch ein neues Publikum erschließen.

In erster Linie liegt dies an der auffälligen Umgehung des Problems, worum es sich bei den Wahnsinn erzeugenden, aber stets den Zuschaueraugen unsichtbar bleibenden „Kreaturen“ handelt. (Im Internet kann man übrigens schauerlich lächerliche Monster-Entwürfe für „Bird Box“ finden, die glücklicherweise nicht umgesetzt wurden.) 2018 standen die Kategorien „Außerirdische“ und „Dämonen“ zur Auswahl. Man sollte meinen, dass „Bird Box: Barcelona“ den Schleier ein wenig lüftet. Aber nein, die Katze bleibt im Sack, was angesichts der übrigen Mängel (s. u.) dem Film zusätzlich schadet.

Da Spanien durch seine katholische Geschichte geprägt (und gezeichnet) wurde, kommen nunmehr „Engel“ hinzu. Diese Idee wird von einigen Kritikern positiv herausgestellt. Dabei ist Religion ein heikles Thema. Sobald sie ins Spiel kommt, geraten gerade Filmgeschichten, in denen es „übernatürlich“ zugeht, rasch auf ein falsches = einschlägige Klischees bedienendes Gleis. „Bird Box: Barcelona“ stellt keine Ausnahme dar: Als ‚menschlicher‘ Zentral-Bösewicht agiert ein übergeschnappter Priester, der seinen früheren Schäfchen nun mit Gewalt die Augen für ‚Gottes Boten‘ öffnen will.

Die üblichen Verdächtigen = Irren

Pater Esteban gibt schwarzgekuttet den scheinheilig freundlichen, aber völlig in seinem Fanatismus gefangenen ‚Erlöser‘, der wie ein Warlord mit einer Horde vertierter Schergen durch Barcelona zieht und jene fängt, die sich unter einer Augenbinde vor den Kreaturen verbergen. Leonardo Sbaraglia stellt (sicherlich unfreiwillig) unter Beweis, dass sich aus einer solchen Rolle einfach keine Funken schlagen lassen. Charisma geht Esteban definitiv völlig ab, was seine Glaubwürdigkeit in Frage stellt.

Damit reiht sich Sbaraglia in die Reihe seiner ähnlich profilarmen Schauspielerkollegen ein. In „Bird Box“ bewiesen u. a. Sandra Bullock als Heldin und John Malkovich als Drecksack, wie man Figuren gestaltet, die den Zuschauern wichtig sind und an deren Schicksalen sie Anteil nehmen. In „Bird Box: Barcelona“ gelingt dies in keinem Fall. Selbst Mario Casa, der den verzweifelten Vater Sebastián spielt, kann nicht wirklich glänzen. Dabei gehört es zu den wenigen echten Einfällen des Drehbuch-Duos Álex und David Pastor - die Brüder sind auch für die Regie verantwortlich -, Sebastián als einen jener „Seher“ einzuführen, die zwar die Kreaturen gesehen, sich aber nicht umgebracht haben. Seine Rückkehr zum ‚normalen‘ Menschen wird stereotyp umgesetzt, und sein Ende (= Erlösung) ist nicht dramatisch, sondern nur theatralisch.

Dass Sebastián sich in Begleitung durch Barcelona kämpft, gerät rasch in Vergessenheit, da diese Pechvögel mehrheitlich ebenso rasch wie unspektakulär aus dem Leben und dem Geschehen treten. Zuvor haben sie wenig Aufmerksamkeit erregt, was auch die „last girls“ Claire und Sophia einschließt. Die Pastors thematisieren dies (wahrscheinlich ohne ihr Wissen), wenn sie „Bird Box: Barcelona“ mit einem Epilog ausklingen lassen, der das Figurenpersonal der vorangegangenen beiden Filmstunden ignoriert, sondern eine ‚schockierende Überraschung‘ bieten will. Stattdessen wird uns ein Twist zugemutet, der in erster Linie eines ankündigt: eine weitere Fortsetzung, was nach diesem Film so gar keine Vorfreude aufkommen lässt.

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Bilder: © Netflix

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